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BLICK IN DIE SEELE MALLORCAS

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Mallorcas Possessions gehören zu dem außergewöhnlichen Kulturerbe der Insel, die fast in Vergessenheit geraten. Dabei zählen die riesigen „Besitzungen“ zu Mallorcas wahren Schätzen mit großem historischen Wert. Eine Landkarte des Kardinals Despuig aus dem Jahr 1784 verzeichnete über 1.250 dieser herrschaftlichen Landgüter auf Mallorca. Doch seither sind viele im Begriff zu verfallen oder können schon nicht mehr gerettet werden.

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Besuch im Herrenhaus

Eine Tatsache, die das Herz von Diego Zaforteza Torruella bluten lässt. Der Herr aus altem mallorquinischem Adel möchte diese Besonderheit der Insel wieder mehr ins Bewusstsein rücken – und Interessierten zeigen. Nicht nur Einheimischen und Urlaubern, sondern auch den Kindern in den Schulen. Dafür arbeitet er unermüdlich. „Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit”, sagt der Mann, dessen Familie selbst – neben dem Hafen Port Adriano – das Landgut Alfàbia bei Bunyola besitzt. Also rief er 2015 die Kulturerbe-Vereinigung „Asociación Cultural Patrimonio Histórico del Mediterráneo” ins Leben, deren engagierter Präsident er ist.

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Er hat mit Besitzern gesprochen, für seine Idee geworben – auf dass sie ihre Türen für Besucher öffnen. Denn zum Glück gibt es sie ja noch, die vielen Gehöfte, die sich stolz und erhaben inmitten ihrer Ländereien erheben. Diego Zaforteza hatte Erfolg. Derzeit können Geschichtsfreunde drei der feudalen Anwesen besichtigen und einen Blick hinter die Kulissen von Sollerich, Comassema und natürlich auch Alfàbia werfen.

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Mitten ins Herz der mallorquinischen Noblesse

„Von den heute existierenden Possessions auf Mallorca“, sagt Diego Zaforteza, „werden rund 300 als Agroturismos, Hotels, Weingüter, Museen oder für Events wie Hochzeiten genutzt.“ Doch auch die anderen dieser beeindruckenden Herrensitze sollen eben nach und nach der Öffentlichkeit im Rahmen eines nachhaltigen Tourismus zugänglich gemacht werden. Das ist sein Wunsch. Und Ziel des Projektes „Itinerem”. Mit anderen Worten: Er möchte die Possessions touristisch zu vermarkten. Auf die sanfte Tour (siehe auch Kasten unten). Denn diese noblen Häuser, die über Jahrhunderte hinweg Lebensmittelpunkt so vieler Insulaner waren, haben eine lange Geschichte und eine große Tradition.

Landsitz der ersten Stunde

Wie Comassema zum Beispiel, nördlich von Orient. Herrschaftlich mutet es an. Wie eine trutzige Festung, die sich aus der Ebene erhebt, umgeben von Obst-, Zitrus- und Olivenbäumen – darunter wahre Prachtexemplare, die über 1.000 Jahre alt sind. Mit seinen rund 700 Hektar gehört Comassema zu den größten Landgütern der Insel. Und zählt darüber hinaus zu den besterhaltenen Gehöften dieser Art, das noch von einer Familie bewirtschaftet wird. Etwas versteckt in der Serra de Tramuntana liegt es. Und ist ein Paradebeispiel für eine typische Berg-Possession. Ihre Historie geht auf das 13. Jahrhundert zurück, als König Jaime I. im Jahr 1229 Mallorca eroberte. Ein Herrensitz der ersten Stunde sozusagen.

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Fruchtbare Erde & viel Wasser

Denn schon damals wird das Anwesen in den Aufzeichnungen dokumentiert und ein gewisser Don Nuño Sanz als Eigentümer erwähnt, seines Zeichens Onkel des siegreichen Herrschers. Der Platz der Possession war mit Bedacht gewählt. Ohnehin ist das Gebiet schon seit tausenden von Jahren besiedelt. Bereits die Talayots, die Ureinwohner der Insel, hatten sich dort niedergelassen. Davon zeugt nicht zuletzt ein Turm aus der Megalithkultur nur 400 Meter von Comassema entfernt.

„Das ist über 3.000 Jahre her“, erzählt Forteza. Die Menschen wussten damals sehr genau, was sie taten. Die Erde dort ist fruchtbar und reich an Wasser, bot also ideale Voraussetzungen zum Leben. Noch heute sprudelt in der Nähe eine Quelle.

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Schlicht statt schnörkelig

Ein Geschenk für Comassema, das mit rund 4.600 Kubikmetern über das drittgrößte Wasserreservoir Mallorcas verfügt. Unerschütterlich hat das herrschaftliche Gut den Zeiten getrotzt, auch wenn die Besitzer immer wieder wechselten. Seine heutige Form geht auf das 16. Jahrhundert zurück. Mit Veränderungen, versteht sich. So stammt das schlichte Hauptportal von 1688. Die gesamte Fassade ist einfach gehalten, lediglich verziert mit einem Wappen derer von Palou, einer der Besitzerfamilien im 17. Jahrhundert.

Die Ölmühle

Schon der umtriebige österreichische Erzherzog Ludwig Salvator (1847–1915) war Mitte des 19. Jahrhunderts so fasziniert von Comassema, dass er den landwirtschaftlichen Feudalbetrieb in seinem legendären Buch „Die Balearen in Wort und Bild“ von 1884 gleich mit vier Zeichnungen verewigte. Auf einer dieser Zeichnungen ist auch eine Ölmühle zu sehen.

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Elektro- statt Eselskraft

Diese tafona, wie die Mallorquiner sie nennen, besteht noch heute. Und das Beste: Man kann sie arbeiten und ihre Runden drehen sehen, wenn auch nur zu Showzwecken. Öl wird in Comassema heute nicht mehr hergestellt. Die tafona ist dennoch der ganze Stolz des Eigentümers Fernando Fortuny y Salas. Er hegt und pflegt und liebt sie geradezu. „Mein Spielzeug“, sagt er verschmitzt. Ein prächtiges dazu, das bestens funktioniert. „Schauen Sie mal“, sagt er und schon wirft er den Koloss an. Heute freilich wird die Mühle mit Elektro- statt mit Eselskraft betrieben …

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Pure Handarbeit

Früher wurden die Oliven per Hand gepflückt. In besten Comassema-Zeiten wurden bis zu 3.000 Liter Öl pro Tag gewonnen und dafür rund 14.000 Kilo Oliven der Sorten Empeltre und Mallorquina verarbeitet. Zwischen 100 und 200 Menschen wurden jedes Jahr allein für die Olivenernte benötigt. „Darunter waren junge Frauen zwischen 15 und 20 Jahren“, sagt Diego Zaforteza. „Und Männer im Alter im 18 bis 20.“ Und während die Damen meist aus dem nahegelegenen Alaró stammten, kamen die Männer aus Petra, Llubí oder sa Pobla.

Brautschau auf dem Gutshof

Alle Arbeiter wurden verpflegt und beherbergt. Der Lohn allerdings belief sich „auf einen halben Liter Öl pro Woche“, so Zaforteza. Und doch rissen sich die Einheimischen um den Job. Auch wenn die Tage lang waren, um 8 Uhr morgens begannen und erst mit dem Sonnenuntergang endeten. Es galt als Privileg, dabei zu sein. Denn das Ganze hatte einen wunderbaren Nebeneffekt. Jeden Abend nach getanem Werk wurde zum Tanz aufgespielt. Dadurch unterschied sich Comossema doch sehr von den Usancen auf anderen Besitztümern. Und so kam es, dass sich die alljährliche Ölernte von November bis etwa Januar zu so etwas wie einem Heiratsmarkt entwickelte. Eine wunderbare Gelegenheit, den Partner fürs Leben kennenzulernen! Und eines steht fest: Auf Comossema wurden viele verliebte Blicke geworfen und so manche Ehe angebahnt …

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Führungen in deutscher Sprache

Und wie das Schicksal so spielt, gibt es diese Möglichkeit auch heute auf Comossema. Denn ein Teil der Finca wird für Events vermietet. Wer nicht gleich den Bund fürs Leben schließen möchte, kann eine sehr interessante, rund zweieinhalbstündige Besichtigungstour unternehmen, die dank der Galeristin Ingrid Flohr aus Santanyí auch auf Deutsch angeboten wird. Besucher werfen dabei einen Blick in den Garten, auf die umgebenden Plantagen, das beeindruckende Wasserreservoir, die Stallungen mit den Krippen, die ehemaligen Schlafräume der Arbeiter und die schöne, alte Küche für die Angestellten mit dem typischen, großen, offenen Kamin. Auch ein Blick in die Gemächer der Besitzer mit ihren Antiquitäten und Gemälden ist möglich – allerdings nur von außen.

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Rustikaler Snack

Am Ende der Tour genießen die Teilnehmer einen rustikalen Snack, schön authentisch mit Oliven, Öl, Brot, Käse und Wein. Man speist in dem einfachen Essraum, in dem einst die Arbeiter vorsorgt wurden, an einer langen Tafel mit rot-weiß karierten Tischdecken unter landwirtschaftlichem Gerät. Wann die nächsten Rundgänge, nicht nur auf Comassema, sondern auch auf anderen Landgütern stattfinden, erfährt man unter www.itinerem.com.

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Ein atemberabendes Projekt: Itinerem

Im Rahmen des Projektes Itinerem können zur Zeit die Güter Sollerich, Comassema und Alfàbia in Augenschein genommen werden. Andere sollen folgen. Diego Zaforteza ist derzeit im Gespräch mit weiteren Landgut-Besitzern. Neben reinen Besichtigungen sollen später auch Workshops hinzu kommen – eine Gelegenheit für Urlauber, mit Mallorquinern in Kontakt zu treten. Themen dabei sind zum Beispiel die alten Berufe, etwa die der Köhler. Die carboners stellten früher in den Wäldern der Insel Holzkohle her. Ihre Plätze sieht man heute noch bei Wanderungen in der Serra de Tramuntana. Auch die Häuschen der Schneesammler findet man noch dort. Die nevaters versorgten in früheren Zeiten Palma und andere Ortschaften mit Eis aus dem Bergen.

Landsitz-Route entlang des Mittelmeeres

Und es geht noch weiter. Denn im Rahmen von Itinerem sollen nicht nur die ursprünglichen Landsitze Mallorcas im Mittelpunkt stehen. Ziel ist vielmehr, eine Landsitz-Route im gesamten Mittelmeerraum zu schaffen. Derzeit sind neben den Balearen bereits Malta, Sizilien, Korsika, Sardinien und Rhodos dabei, allesamt Regionen mit großer mediterraner Gutshaus-Tradition. Am Ende soll diese „Herrenhaus-Route“ offiziell vom Europarat anerkannt werden, ähnlich wie der Jakobsweg. Über 30 solcher Routen haben bereits den Segen der Institution in Straßburg. Und wenn es nach Diego Zaforteza geht, soll es schon bald eine mehr sein. www.itinerem.com

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Fotos: Kirsten Lehmkuhl